Unsere
Anlagestelle für heute ist der Hafen von Parati. Die
Stadt liegt zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo. Im Jahre 1958 wurde die
historische Altstadt unter Denkmalschutz
gestellt. Die Innenstadt ist weitgehend für den Verkehr gesperrt.
Parati besticht durch die fast vollständig erhaltene historische
Architektur aus dem 17. Jahrhundert. Die Häuser sind alle weiß gestrichen mit
bunten Fenster- und Türumrandungen. Die Straßen haben ein grobes
Kopfsteinpflaster, das von Sklaven verlegt wurde. Bei Hochwasser strömt die
Flut in die Gassen. Für einen Besuch der Altstadt ist für uns leider nicht
genug Zeit.
Im
Osten erstreckt sich der Naturpark Serra da Bocaina, der weitestgehend von
Menschen unberührt geblieben ist. Allerdings wohnen hier noch einige wenige
Einheimische unter ganz einfachen Verhältnissen, ohne Strom und Infrastruktur.
Auch sie müssen zum Einkaufen und zur Schule mit dem Boot fahren.
Zu
diesem Naturpark führt uns unser heutiger Ausflug zu einer kombinierten Kanu-
und Treckingtour. Ein Schoner holt uns direkt vom Schiff ab und wieder fahren
wir eine gute Stunde an der herrlichen Landschaft vorbei, den vielen kleinen
und größeren Inseln, die über und über mit dichtem und saftigem Grün bedeckt
sind bis runter zu den zum Teil glatt geschliffenen Felsen. Wolkenverhangene
Berge im Hintergrund runden die malerische Idylle ab. Hin und wieder sieht man
motorisierte Fischerboote, die von hoffnungsvollen Möwen umschwärmt werden
oder auch ganz einfache Kanus, von denen aus geangelt wird.
Unser Ausflugsboot
Da
sich die Gruppe für die Aktivitäten teilen muss, steigen diejenigen, die mit
der Treckingtour beginnen wollen, bei einer Insel aus. Wir anderen fahren noch
ein Stück weiter und steigen dann vom Schoner aus direkt um in ein Schlauchboot, in das wir uns zu
zehnt quetschen und alle anderen in ein Holzboot. So werden wir ans Ufer
gebracht. Man hat das Gefühl, dass die Gefährte derart labil im Wasser liegen,
dass sie jederzeit umkippen könnten, wenn man zu stark schaukelt. Das Boot wäre
am Ufer auch beinahe gekentert.
Am
Strand liegen die Kanus für uns bereit, aber zuerst zeigt uns unser Ausflugsbegleiter
auf der Landkarte, wo genau wir uns befinden und gibt uns noch viele Informationen
über die Landschaft und die Menschen, die hier leben. Zur Sicherheit wird uns
ausführlich erläutert, wie wir uns in den Kanus zu verhalten haben, um ein
Kentern zu vermeiden. Aus der Hüfte heraus soll man das Gleichgewicht halten
und sich auf keinen Fall an der Boootskante festhalten. Schließlich zeigt man
uns noch wie wir zu paddeln haben um nach links, rechts oder geradeaus zu
fahren. Währenddessen laufen Ameisen um uns herum, deren gigantische Ausmaße
schon Furcht einflößend sind. Jeder achtet darauf, dass sie nicht an den Beinen
hoch krabbeln.
Schließlich
verteilen wir uns auf die Kanus. Leider wurde beim Aufteilen der Gruppen nicht
richtig gezählt oder eines der Kanus ist kurzfristig ausgefallen, denn in eines
müssen drei Leute rein. Unser Hab und Gut wird in einem wasserdicht
verschließbaren Sack verstaut; dann geht es endlich los, begleitet von dem
schwarzen Hund, der uns am Ufer entlang laufend kläffend begleitet und sich
auch nicht durch die gerufenen Befehle seines Besitzers beirren lässt.
Wahrscheinlich aufgrund der Überlast und der erschwerend hinzu kommenden
Unerfahrenheit der Insassen, kippt das mit drei Leuten besetzte Boot kurz vor
der Einfahrt in die Mangrovenwälder um und alle drei Kanuten landen komplett im
Wasser. Später gibt es noch Diskussionen und Versuche zu klären, wer oder was
eigentlich Schuld daran war, aber das lässt sich bestimmt nicht mehr klären.
Ich habe aber das Gefühl, dass Eddi, Maria und Alexander das Ganze von der
lustigen Seite gesehen haben. Es ist ja auch schön warm, so dass man eine
Erkältung nicht zu befürchten hat.
Ich
muss in das Kanu einsteigen, das mit dem erfahrenen Bootsfahrer vorneweg
fährt. Obwohl ich gern gepaddelt hätte, ist dies gar nicht nötig, denn der
freundliche, aber des Englischen nicht mächtige Herr, steuert uns virtuos durch
die Untiefen. So habe ich Gelegenheit mich auf die Umgebung zu konzentrieren,
die rechts und links an mir vorbei zieht. Vor allem die Mangroven faszinieren
durch ihren unüblichen Wuchs und ihre dadurch bizarre Erscheinung. Sie sind
salztolerante Pflanzen, die an tropischen Küsten mit Wassertemperaturen über
zwanzig Grad wachsen.
Mangrovenwälder bestehen aus Bäumen und Sträuchrn verschiedener Pflanzenfamilien
mit insgesamt fast 70 Arten, die sich an
die Lebensbedingungen der Meeresküsten und brackigen Flussmündungen angepasst
haben. Das salzige Brack- oder Meerwasser, dem die Bäume des Mangrovenwaldes im
Wechsel der Gezeiten ausgesetzt sind, führt zu einem sehr niedrigen Wasserpotential im Sediment, das die Wurzeln
umgibt. Bereits bei der Wasseraufnahme durch die Wurzeln schließen
Mangrovenbäume einen Teil der für Pflanzen normalerweise schädlichen Salzionen aus. Das trotz der selektiven Aufnahme in den Organismus gelangte Salz wird
bei bestimmten Mangrovenbaumarten über Salzdrüsen der Blätter ausgeschieden, bei anderen verbleibt
das Salz bis zum Abwerfen der Blätter im Organismus der Pflanze.
Weitere Anpassungen der Mangrovenbäume an ihren Standort
betreffen die Wurzeln. Wurzeln
benötigen Sauerstoff für die Zellatmung, dieser steht aber in Schlickböden des Gezeitenbereichs nicht zur
Verfügung. Um die Versorgung der unterirdischen Wurzeln mit Sauerstoff trotzdem
sicherzustellen, besitzen die Wurzelsysteme von Mangrovenbäumen „Belüftungssysteme“:
Besondere überirdische Wurzelorgane, auch Stelzwurzeln genannt, werden über ihre
Rinde mit atmosphärischem Sauerstoff versorgt und leiten diesen über
luftleitende Gewebe an das unterirdische Wurzelsystem weiter.
Aufgrund der extremen Bedingungen im Gezeitenbereich haben sich in Mangrovenwäldern
verhältnismäßig produktive Gemeinschaften hoch spezialisierter Lebewesen
entwickelt. Hier teilen sich Meeres- und Landorganismen den gleichen
Lebensraum. Während in den oberen Stockwerken der Baum- und Strauchschicht
terrestrische Organismen leben, wohnen zwischen den Wurzeln echte
Meeresbewohner. Das Wurzelwerk der Mangrovenbäume und das sich zwischen den
Wurzeln sammelnde Sediment sind
Lebensraum und Kinderstube zahlreicher Organismen; Mangroven sind wichtige Laich- und Aufwuchsgebiete für Fische, Krebse und Garnelen, von denen einige später Korallenriffe oder andere Ökosysteme der Küstengewässer bevölkern.
Der Boden, in dem sich die Wurzeln festhalten, ist ein pampiger
schwarzer Schlick, durchzogen von tiefen Löchern, in denen die knallroten
Krebse wohnen, die aber meistens gleich das Weite suchen, sobald wir uns ihnen
nähern. Ein leichter Geruch von Modrigkeit umweht uns hier. Durch die
ungewöhnliche Vegetation, die hier weitestgehend blickdicht wuchert, die
Krebse fast auf Augenhöhe, die sich durch ihre Farbe unübersehbar vom
Untergrund abheben und dem morbiden Geruch der Zersetzung, herrscht hier eine
ganz eigentümliche Atmosphäre, eingebettet in die Stille, die uns umgibt, die
nur durch die Anstrengungen, die Kanus weiter zu bringen, und das damit
verbundene Gelächter, begleitet wird.
Je weiter wir in den Wald hinein fahren, desto flacher wird das
Wasser und aufgrund der noch herrschenden Ebbe – das Wasser ist stellenweise gerade
mal dreißig Zentimeter tief - hat man Mühe, diejenigen Stellen zu finden, die
noch befahrbar sind. Ab und zu muss das Kanu sogar geschoben oder zunächst aus
dem Sand heraus geschaufelt werden, um überhaupt noch weiter zu kommen. Als es
gar nicht mehr geht, steigen wir alle aus und gehen zu Fuß weiter. Dabei muss
man entweder durch den schwarzen Matsch oder durchs Wasser laufen. Ohne Schuhe
ist nicht erlaubt, weil die scharfen Kanten der Muscheln in die Füße
einschneiden könnten. Die Schuhe sind letztendlich komplett durchweicht, wenn
man nicht zufällig gerade heute wasserunempfindliche Sandalen gewählt hatte
oder einen Kavalier hat, der einen durch das Wasser trägt.
Unser Ziel ist eine brasilianische Familie, die hier noch unter
den vorhin geschilderten Umständen wohnt und sich für uns um unser Mittagessen
kümmert. Zu mehreren wuseln sie in der Küche herum, braten, kochen und tragen
auf bis schließlich alles als Buffet auf
einer Art Theke aufgereiht wird. Der Familienälteste ist genauso dabei wie der
schwarz gelockte Junior im Buggy. Aufgetischt werden uns gegrillter Fisch,
gekochte Bohnen, Reis, ein Salat aus dünnen grünen Streifen, einer aus Rote
Bete und aus Kraut, mit Maniokmehl panierte Muscheln und Kochbananen, dazu
scharfe Peperoni, die es in sich haben.
Derweil sind viele Paar Schuhe hübsch aneinander gereiht zum
Trocknen in der Sonne aufgestellt. Zu unserer Unterhaltung zeigt man uns, wie
aus einem Stück Holz kleine Schiffchen geschnitzt werden, von denen jeder eines
bekommt. Satt und zufrieden wollen wir den Rückweg antreten. Eigentlich war
geplant, dass die Gruppen nun tauschen, das heißt dass die Wanderer jetzt
paddeln und die Kanuten nun trecken. Herr Löffel bekommt aber die Nachricht,
dass der Wasserstand in den Mangroven noch immer zu niedrig ist, so dass nur
einige wenige hart gesottene, denen das Schieben der Kanus nichts ausmacht, den
Rückweg auf diese Weise antreten.
Alle anderen marschieren quasi im Gänsemarsch durch den Dschungel
zurück zu der Anlegestelle, wo das Boot auf uns wartet. An einigen Stellen
sieht man auch hier den schwarzen morastigen Boden des Mangrovenwaldes. Der
Pfad windet sich durch dichten Urwald, als Farbtupfer sehen wir große Blüten
verschiedener Blumen und die riesigen Tschacka-Früchte, die direkt aus dem
Stamm heraus wachsen. An einer Stelle müssen wir einen kleinen Wasserlauf über
glitschige Steine überqueren. Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde erreichen
wir die lauschige Bucht, wo eine Verrückte ihre Monologe hält. Wir müssen noch
auf einige Nachzügler warten, die den Anschluss verloren und sich ein wenig
verlaufen hatten. Schließlich sind wir vollzählig und können die Rückfahrt
antreten.
Zur Erfrischung werden uns verschiedene Früchte gereicht:
Wassermelone, saftig süße Ananas, Orangen und die sonderbare Tschacka-Frucht,
die wie eine Mischung aus Apfel und Banane schmeckt und etwas glitschig ist.
Die meisten werden keine Fans von dieser Frucht, aber einigen von uns schmeckt
sie ganz ausgezeichnet. So schippern wir wieder gemütlich vor uns hin bis zu
einer traumhaften kleinen Bucht, wo wir zum Schwimmen halt machen. Hier gibt es
einen herrlichen Sandstrand und smaragdgrünes Wasser, dessen Farbe einen
eigentümlichen Kontrast bildet zu dem sonst blauen Meerwasser. Man kann sich
aber auch im Schlauchboot an den Strand fahren lassen und sich in die Sonne
legen oder einen Spaziergang machen. Oder aber einfach auf dem Schoner weiter
faulenzen.
Schließlich findet auch dieses Vergnügen ein Ende und wir fahren
endgültig zum Schiff zurück, wo wir am frühen Abend ankommen.
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