Seit ein paar Tagen sehen wir, wie die Menschen ihre Hauseingänge und
Toreinfahrten schmücken und es werden überall die großen Blütenbilder
gelegt. Heute machen die Jungs vom Hotel auch eins. Bis um drei Uhr früh
haben sie gebraucht, um das Kunstwerk fertig zu stellen, und es ist das
schönste, das wir bisher gesehen haben. Die Ayurveda-Dame stellt eine
Opferschale mit Blüten und einer entzündeten Kerze dazu.
Wie Sandeep mir erklärt, werden die Pookalams zu Ehren ihres
mythischen Königs Maveli gemacht, der einmal im Jahr zurück auf die Erde
kommt, um die Menschen von Kerala zu besuchen und zu sehen, ob es ihnen
gut geht. Der Mythos dahinter liegt in grauer Vorzeit. Es wird
berichtet, dass die Zeit, in der König Mahabali oder auch Maveli genannt
regierte, ein goldenes Zeitalter war. Der König wurde als weise,
gerecht und extrem großzügig verehrt. Allen im Staat ging es sehr gut,
jeder Einwohner wurde gleichberechtigt respektiert, unabhängig von
Schicht, Kaste oder Einkommen.
Es gab weder Kriminalität, noch Armut, noch Korruption - also herrschten wirklich goldene Zeiten. Die Menschen verehrten ihren König Mahabali wie einen Gott. Deshalb wurden die Götter eifersüchtig und neidisch und beratschlagten, wie sie selbst wieder in den Genuss von Opfergaben kommen könnten. Wie gesagt, der König war sehr großzügig und wohltätig. Nie schlug er einem Bittsteller einen Wunsch aus. Diese Tugend wurde von den Göttern ausgenutzt.
Der
Gott Vishnu erschien als Zwerg Vanama vor dem König und bat um ein
Stück Land. Es erstaunte zwar den König, dass er so viel Land wollte,
wie er mit 3 Schritten umfassen kann. Er stimmte jedoch zu. Ein weiser
Berater machte ihn aufmerksam, dass der Zwerg keine gewöhnliche Person
war. Der König wollte jedoch sein gegebenes Wort halten. Darauf dehnte
sich der "Zwerg" so weit aus, dass seine Gestalt kosmische Größe annahm.
Mit dem ersten Schritt bedeckte er die gesamte Erde, mit dem zweiten
das ganze Himmelsgewölbe. Darauf frug er den König, wohin er denn nun
den dritten Schritt setzen solle. Jetzt wurde dem König klar, dass dies
kein gewöhnlicher Brahmanen-Junge gewesen war.... Und er mit dem dritten
Fußtritt die Erde zerstören würde.
Deshalb verbeugte sich der
König vor Vanama und bat ihn, den dritten Schritt auf seinen Kopf zu
machen, damit er sein Versprechen halten könne. Dies geschah und der
König wurde damit nach Patala, d.h. in die Unterwelt gedrückt. Dort
erschien ihm Lord Vishnu in seiner wahren Gestalt und erklärte, dass der
König getestet werden sollte, ob er ein gegebenes Versprechen halten
würde. Dies war zwar geschehen, aber der König musste in der Unterwelt
bleiben. Ein Wunsch wurde ihm erfüllt: Jedes Jahr einmal wollte er sein
Volk besuchen, um zu sehen, ob es seinem Volk gut gehe. Lord Vishnu war
berührt über diesen Wunsch, segnete ihn und erklärte, dass der König
weiterhin von seinem Volk und von ihm geliebt würde. Sein Wunsch, einmal
im Jahr auf die Erde zurück zu kehren, wurde ihm erfüllt. Dieser
"Besuch" wird nun jedes Jahr als Onam gefeiert mit viel Enthusiasmus, um
dem König zu zeigen, dass es den Menschen gut geht. Es ist das größte
und bedeutendste Fest Keralas, das jedes Jahr zehn Tage lang gefeiert
wird, für das die vielen Pookalams gelegt werden und das traditionelle
Onasadya Essen auf dem Bananenblatt zubereitet wird.
In diesem
Zusammenhang werden wir heute vom Deshadan dazu eingeladen, an dem
traditionellen Festessen teilzunehmen und danach gibt es Wettkämpfe für
alle, die aus lustigen Spielen bestehen sollen. Deshalb verbringen wir
den Tag bis zum Mittag im Hotel und sind schon ganz gespannt, was uns
erwartet. Um zwei werden wir zu Tisch gebeten. In dem Freiluftspeiseraum
wurden alle Tische in einer langen Reihe hintereinander aufgebaut und
auf den Bananenblättern werden die vielen verschiedenen Speisen
aufgetragen. Dabei hilft jeder mit, von den Putzleuten bis zum Manager,
bis alles zum Essen bereit ist. Abhilash erklärt uns die Zutaten der
verschiedenen streng vegetarischen Saucen und dass eine bestimmte Anzahl
zubereitet werden muss. Auch dies hat wieder eine Bedeutung: mit der
Vielzahl der Gerichte möchte man den Wohlstand, der zur Regierungszeit
des Königs geherrscht hatte, symbolisieren.
Den Mittelpunkt bildet
natürlich der Reishaufen, auf den das Dhal gegeben und das Papadam
gekrümelt wird. Es gibt Gemüse-Curries und weiße, pinkfarbene und braune
Saucen, die je unterschiedlich schmecken und feingeschnittener
gebratener Kohl. Auch die salzig-scharfen Pickles dürfen nicht fehlen
und für die abschließende Süße sorgen die Minibanane, kandierte
Bananenstücke und ein zum Abschluss gereichter Milchreis, der so dünn
gekocht ist, dass man ihn aus dem Becher trinken kann. Natürlich wird
auch hier mit der Hand gegessen. Während des Essens herrscht eine
ausgelassene Stimmung und es schmeckt uns allen sehr gut. Wieder kann
man so lange Nachschlag haben, bis man satt ist. Wir bedanken uns artig
für das Essen und vor allem auch für die Ehre, dazu eingeladen worden zu
sein.
Nachdem wir die anschließende Zeit zum Verdauen nutzen konnten, geht es
los mit den Wettkämpfen. Das erste Spiel besteht darin, mit den Händen
Wasser aus einem Eimer zu schöpfen und damit zu den aufgestellten leeren
Cola-Flaschen zu laufen, und diese damit zu füllen. Wessen Flasche als
erste voll ist hat gewonnen. Thomas und Nico nehmen gleich in der ersten
Vierer-Runde teil, doch obwohl sie sich redlich bemühen, gewinnt der
Vorjahressieger auch diesmal und zwar das gesamte Spiel.
Danach ist Luftballons aufblasen dran. Wer innerhalb von zwei Minuten die meisten Ballons aufgeblasen hat gewinnt. Die Inder benutzen dafür eine ganz eigenartige Technik, indem sie das Mundstück seitlich in die Länge ziehen, damit aber nicht sehr erfolgreich sind. Mit knallroter Birne gewinnt Thomas haushoch mit sechs Stück. Das Zerplatzen der Ballons wird jedes Mal von schallendem Gelächter begleitet.
Das anschließende Topfschlagen beginnt Nico. Mit verbundenen Augen und
einem Prügel in der Hand, muss er einen Topf, der über einen in die Erde
gerammten Stock gestülpt wurde, mit einem Hieb zerschlagen. Thomas
hatte ihm vorher erklärt, dass er ihm die Richtung durch die Ansage von
Uhrzeiten zurufen wird, was dann auch so gut funktioniert, dass Nico mit
einem Schlag das Ding in Scherben verwandelt. Die Inder helfen sich
gegenseitig überhaupt nicht, sondern führen den Spieler mit ihren
Kommandos in die Irre. Wenn dieser dann daneben haut, freuen sie sich
wie die Kinder. Als Thomas dran ist, vereiteln sie unsere
Richtungsanweisungen dadurch, dass auf einmal alle gleichzeitig brüllen,
was das Zeug hält, damit Thomas uns nicht mehr hört, was ihnen auch
gelingt. So bleibt Nico der einzige, der den Topf erfolgreich
zerschlagen hat.
Es folgt die Reise nach Jerusalem, hier "Musical Chair" genannt, mit neun Teilnehmern. Da es aber keine Musik dazu gibt, muss Sandeep, versteckt hinter einer Treppe, damit er niemanden bevorzugen kann, mit einer Trillerpfeife das Startkommando und den Abschlusspfiff abgeben. Nico schlägt sich wacker und beendet die Runde mit dem dritten Platz. Auch hierbei wird viel gelacht, vor allem wenn sich immer mal wieder einer auf dem Schoß eines anderen wieder findet und ausscheiden muss. Das anschließende Armdrücken ist recht kurz, weil nicht viele daran teilnehmen und wahrscheinlich auch weil Thomas gleich zu Beginn, den am stärksten aussehenden Sajin bezwingt, natürlich nicht ohne ihn ein wenig zappeln zu lassen und in falscher Hoffnung auf einen eventuellen Sieg zu wiegen. Als der anschließend den Langen bezwingt, ist seine Ehre wieder hergestellt und diese Spielrunde beendet.
Das letzte Spiel ist Tauziehen. Bereits im Vorfeld war ausgemacht
worden, dass Thomas und Nico in Sandeeps Team mitmachen. Sie treten
gegen ein Team vom Deshadan an mit Unterstützung des Ayurveda-Mannes.
Alle legen sich mächtig ins Zeug, aber wie nicht anders zu erwarten war,
gewinnt natürlich die Mannschaft, in der Thomas mit zieht. Natürlich
folgt daraufhin ein Super-Bodycheck zwischen Nico und Sandeep. Nach zwei
Durchgängen wird Thomas gebeten auszuscheiden, damit das gegnerische
Team eine Chance zu gewinnen hat. An seine Stelle tritt der schmächtige
Arzt und es war abzusehen, dass die Gruppe nun verliert.
Damit sind die Wettkämpfe beendet und später soll die Siegerehrung
folgen. Die lässt aber ganz schön auf sich warten, also suchen wir
zunächst Abkühlung und Erholung am Pool. Ausgerechnet zur allabendlichen
Ankunftszeit der Mücken findet schließlich die Siegerehrung statt.
Abhilash hält eine kleine Rede dazu. Das ganze Team bestehe nun seit
fünf Jahren und es sei das erste Mal, dass sie dazu Hotelgäste
eingeladen hätten und das wichtigste dabei war nicht das Gewinnen,
sondern der Spaß. Er bedankt sich bei uns für unsere Teilnahme und er
würde sich sehr freuen, wenn wir im nächsten Jahr beim Onam wieder dabei
wären. Es gibt auch keinen Gesamtsieger, sondern jede Disziplin wird
einzeln bewertet, so dass es viele verschiedene Sieger und
Zweitplatzierte gibt. Der erste Preis ist jeweils ein Getränk, vorher
noch schnell in Ermangelung an Geschenkpapier in Alufolie eingewickelt.
Für die Männer gibt es Bier, für die Frauen und das Kind Cola. Auch
Shah, der jetzt erst seinen Dienst antritt, bekommt netterweise eine
Bierflasche in die Hand gedrückt, obwohl er an den Spielen gar nicht
teilgenommen hatte.
Während dieser ganzen Zeremonie werden wir in
einer Tour von den Mücken angegriffen, sind aber die einzigen, die
ständig mit dem Britzel fuchteln und knallen oder sich auf die Beine
schlagen, denn die Mistviecher scheinen an indischem Blut keinerlei
Interesse zu zeigen, denn alle anderen sitzen ganz ungerührt da und
wundern sich sicherlich darüber, was für eine Art Ausdruckstanz wir
eigentlich aufführen. Zwischendurch beschleicht mich das ungute Gefühl,
ob wir dadurch vielleicht die religiösen Gefühle der Hindus verletzten,
denn schließlich könnte es ja die Reinkarnationen von Omi oder
Urgroßvater sein, die wir da totschlagen. Angesichts der tagelang
juckenden Mückenstiche ist uns das dann aber doch ziemlich egal. Als
auch das beendet ist, springen wir sofort wieder in den Pool und
versuchen alle Körperteile unter Wasser zu halten, um die stechende
Plage auszutricksen.
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